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Immer den Überblick behalten: Digitale Betriebsdatenerfassung bei A+R Armaturen

Unternehmensgebäude A+R

Eine präzise Produktionsplanung ist für Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe essentiell. Gemeinsam mit dem Kugelhahnhersteller A+R testet das Kompetenzzentrum eine Software zur Betriebsdatenerfassung, die einen Einblick in laufende Prozesse geben soll.

Es ist Montagmorgen, draußen ist noch alles dunkel. Doch bei A+R, einem Hersteller von Industriearmaturen aus Bad Salzuflen, herrscht bereits reges Treiben. In zwei Wochen müssen die Mitarbeiter:innen des mittelständischen Unternehmens einen großen Auftrag abschließen und versenden. Ein Kunde aus der Petrochemie hat 100 Kugelhähne für sein Werk in Süddeutschland bestellt. Die großen, schweren Armaturen müssen bis dahin noch bearbeitet, montiert und geprüft werden – es gibt keine Zeit zu verlieren.

Doch die Geschäftsführer Kai Köppen und Benjamin Decius sind entspannt. Seit Beginn des Praxisprojekts mit den Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren eStandards und Siegen haben sie stets im Blick, wie weit ein Auftrag bereits bearbeitet ist und wie lange ihre Mitarbeiter:innen für die einzelnen Arbeitsschritte brauchen. Gerade, als Köppen den Monitoring-Bereich der neuen Software zur Betriebsdatenerfassung öffnen will, klingelt sein Telefon. Es ist Constanze Ritzmann vom Kompetenzzentrum eStandards. „Ich habe eine Frage zu dem Feedback von letzter Woche. Dein Mitarbeiter schreibt, ihm fehlt ein Vermerk für die Freigabe der Teile in der Qualitätssicherung. Wie müsste ein solches Eingabefeld aussehen, damit es für euch nutzungsfreundlich ist?“. Er überlegt kurz und entscheidet dann, seinen Mitarbeiter direkt zu fragen – denn während des Testlaufs der digitalen Betriebsdatenerfassung (BDE) in den letzten Wochen hat er gelernt, dass digitale Transformation immer ein Gruppenprojekt ist.

Eine digitale Fertigungslaufkarte

Als sich Köppen und Decius zum ersten Mal an das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum eStandards wandten, hatten sie nicht nur eine, sondern gleich mehrere Ideen, wie die Digitalisierung in ihrem Unternehmen aussehen könnte. Die Unternehmensbereiche, in denen die beiden dabei das größte Potenzial sahen, waren die CNC-Fertigung (Computerized Numerical Control), Montage, Prüfung, Arbeitsvorbereitung und das Zeugniswesen. Während der CNC-Fertigung, Montage und Prüfung werden die Kugelhähne stets von der sogenannten Fertigungslaufkarte begleitet. Mit dem Dokument, das bisher in Papierform ausgegeben wurde, erfassen die Mitarbeiter:innen die Vorbereitungs- und Produktionszeit eines bestimmten Arbeitsganges. Zudem dient die Laufkarte auch als Qualitätssicherungs-Dokument: Per Unterschrift erfolgt hier die Freigabe des jeweiligen Arbeitsschrittes durch eine:n Mitarbeiter:in der Qualitätssicherung.

Das Problem: Bisher sahen die Geschäftsführer und Vorarbeiter den Fortschritt eines Auftrags erst nachdem die Laufkarte vollständig abgearbeitet wurde. Es gab keine Möglichkeit, zentral einzusehen, wie viele Arbeitsschritte bereits erledigt waren und wie lange die Mitarbeiter:innen dafür brauchten, ohne zusätzliche Zeit für Wegstrecken im Betrieb und Gespräche mit den entsprechenden Mitarbeitenden aufzubringen.

Ein perfekter Ansatzpunkt für die Kompetenzzentren! Die Lösung: eine digitale, softwarebasierte Fertigungslaufkarte. Bei der Fertigung von Kugelhähnen kommt es auf eine präzise Produktionsplanung und einen genauen Überblick darüber an, wo ein Produkt sich gerade befindet und welche Mitarbeiter:innen wie lange daran arbeiten. „Wir möchten in Zukunft wichtige qualitätssichernde Maßnahmen während der Arbeitsprozesse digital erfassen und jederzeit abrufbar machen“, sagt Köppen während des Kick-off-Meetings mit den Kompetenzzentren. „Wenn die Qualitätssicherungs-Freigabe in digitaler Form und für jeden Mitarbeiter jederzeit klar erkennbar wäre, würde uns das sehr helfen, Produktionszeiten zu planen und Aufträge genauer kalkulieren zu können. So haben wir einen einfachen Soll-/Ist-Abgleich der eingeplanten Arbeitszeiten und können besser verstehen, wie lange unsere Mitarbeitenden für welchen Arbeitsschritt brauchen“.

Implementierung der Software vor Ort

Auf Basis der ersten Anforderungen des Unternehmens entwickelten die Mitarbeiter:innen des Kompetenzzentrum Siegen eine prototypische Software, die die Fertigungslaufkarte digital abbildet. Über Tablets und Laptops sollten die Angestellten des Unternehmens nun ihre Arbeitsschritte online eintragen und direkt abschicken – wodurch der Status eines Auftrags für alle Beteiligten sofort einsehbar wird.

Die folgende Abbildung zeigt die erste Version der BDE-App (Betriebsdatenerfassung), die die verschiedenen Bereiche der ursprünglichen Fertigungslaufkarte abbildet und so auf die Bedürfnisse von A+R zugeschnitten ist:

Anfang März machten sich die Expert:innen der Kompetenzzentren auf den Weg nach Bad Salzuflen, um Mitarbeiter:innen aus der Fertigung und Montage den ersten Prototypen der digitalen Fertigungslaufkarte vorzustellen. Zwischen großen CNC-Maschinen, Werkbänken und Kugelhähnen, die auf die weitere Bearbeitung warteten, erklärten die Mitarbeiter:innen der Kompetenzzentren die einzelnen Funktionen der Software –  und stießen dabei auf große Neugier bei den Angestellten.

Was sagen die Mitarbeiter:innen?

Um die Nutzungsfreundlichkeit der Software über einen längeren Zeitraum zu testen, planten die Expert:innen des Kompetenzzentrum eStandards eine Tagebuch-Studie mit den Mitarbeiter:innen, die an der Kugelhahnmontage und -fertigung beteiligt sind. Tagebuch- oder Vor-Ort-Studien finden ihren Ursprung in der Usability-Forschung und eignen sich perfekt, um die Gebrauchstauglichkeit einer Software oder mobilen App festzustellen. Dabei stehen die Anwender:innen immer im Mittelpunkt und auf gleicher Ebene wie die Usability-Expert:innen und Softwareingenieure. Im Projekt mit A+R war es wichtig, eine Datenerhebungsmethode zu wählen, die die Nutzung der App im tatsächlichen Kontext – also in der Kugelhahnproduktion – erlaubt und über einen längeren Zeitraum dokumentiert, welche Erfahrungen die Nutzer:innen machen. So sollte sichergestellt werden, dass die App keine weiteren Schwierigkeiten verursacht, sondern eine Erleichterung der Arbeitsprozesse darstellt. „Die geplante Anforderungsanalyse vor Ort finde ich sehr interessant, da ich großen Wert auf die Ideen meiner Mitarbeiter lege“, sagt Köppen zum Vorschlag des Kompetenzzentrums.

Nach der Einweisung in die Software wurden die Angestellten gebeten, ihre Erfahrungen in regelmäßigen Abständen über einen Zeitraum von mehreren Wochen zu dokumentieren. Um dabei nicht das eigene Mobiltelefon nutzen zu müssen, integrierten die Mitarbeiter:innen des Kompetenzzentrum Siegen eine Feedbackfunktion direkt in die App. So hatten die Angestellten eine schnelle, unkomplizierte Möglichkeit, Auffälligkeiten direkt zu melden und ihre Meinung zur Software jederzeit zu äußern.

Das bisher eingegangene Feedback wurde von den Mitarbeiter:innen des Kompetenzzentrums eStandards gesammelt, kategorisiert und schließlich ausgewertet. Dabei wurden die einzelnen Rückmeldungen in acht Kategorien eingeteilt, die unterschiedliche Bereiche der BDE-App betrafen. Dazu gehörten unter anderem Feedback zum Zeiteingabefeld, zu kosmetischen Fehlern und zur Ergänzung von bestimmten Features. Dann wurde ein Überbegriff für die jeweilige Kategorie gefunden und das entsprechende Usability-Problem kurz zusammengefasst. Im letzten Schritt arbeiteten die Mitarbeiter:innen des Kompetenzzentrums eStandards praktische Verbesserungsvorschläge aus. Nach nur einer Woche gab es so viel Feedback, dass sich die Kompetenzzentren sofort wieder zusammensetzten, um über eine Umsetzung der Änderungs- und Ergänzungsvorschläge zu diskutieren.

Der nächste Schritt: die Nutzungsfreundlichkeit verbessern

Noch ist die Software nicht perfekt. Die Tagebuch-Studie zeigt, dass es Optimierungspotenzial gibt, das mit einfachen Mittel ausgeschöpft werden kann. Daher wird die Anwendung auf Basis des eingehenden Feedbacks nun weiter angepasst – immer in enger Absprache mit den Geschäftsführern. Am Ende des Praxisprojekts soll eine App für die digitale Betriebsdatenerfassung stehen, die A+R dabei hilft, Produktionsvorgänge genauer planen und so interne Prozesse optimieren zu können.

 

Autorin: Lena Köppen

Copyright: Fraunhofer Fit

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