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E-Commerce-Praxistag: Chancen nutzen in herausfordernden Zeiten

Kompetenzzentrum eStandards E Commerce

Letztes Jahr kurz vor dem E-Commerce-Praxistag: Unser Team wartete früh morgens zum Bersten gespannt auf die ersten Teilnehmenden. Alle Mappen waren auf den Stühlen verteilt, die Auftritte mehrmals geprobt und die Snacks für zwischendurch standen in Reih und Glied. Und dann war es soweit… Dieses Jahr war es, wie so vieles in den letzten zwölf Monaten, so ganz anders. Was allerdings blieb, waren interaktive Teilnehmende, die spannende Fragen stellten und ein entsprechend vielseitiges Programm.

Bettina Bartz, Geschäftsstellenleiterin des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums eStandards, betonte in ihrer Begrüßung vor allem auch die guten Seiten der derzeitigen Lage, eben die Tatsache, dass viele Unternehmen durch die veränderte Situation auch neue Chancen bekämen.

Diesen Aspekt griff Lars Hofacker, Leiter Forschungsbereich E-Commerce EHI, in seiner Keynote auch direkt auf. Keine Überraschung: Der Online-Handel hat in 2020 einen großen Schub bekommen. Um über 20 Prozent. Dabei änderte sich die Marktaufteilung der größten Onlineshops kaum. Schon seit Jahren teilen sich diese Unternehmen die Spitze der E-Commerce-Charts: amazon, Otto, Lidl, Mediamarkt, Apple, zalando usw. Der Umsatz im deutschen Online-Handel betrug laut EHI Retail Institute in 2020 um die 71,5 Milliarden, was einem Plus von 20,7 Prozent entspricht. Und wiederum nicht überraschend; das Wachstum war damit so groß wie noch nie.

Omnichannel ist die Zukunft des Handels

Interessant sei in Hinsicht auf zukünftige E-Commerce-Modelle die Frage nach der Logistik. Hier variierten die Modelle von traditionellen Paketdiensten, zu Retailgeschäft für Dritte, wie es amazon löst bis zur Eigenregie, siehe Flaschenpost und Picnic. Genauso viel Varianz zeichnete sich bei der Entwicklung der Vertriebskanäle ab. War früher Single- oder Multichannel gang und gäbe, überwiegen jetzt Crosschannel- oder gar Omnichannel-Ansätze, die neben dem normalen Online-Handel auch Click & Collect, Click & Reserve und Ship from Store anböten.

Spannend auch die Ergebnisse der EHI-Studie „Connected Retail“. Hier war die Frage, was Händler derzeit am meisten in Hinsicht auf den digitalen Handel beschäftigt. Neben Customer Centricity und der Prozessorganisation war es das Thema Connected Retail, was die meisten Studienteilnehmer:innen umtreibe. So seien viele Händler nicht mehr nur mit ihrem stationären Laden oder Onlineshop unterwegs, sondern auch auf den großen Plattformen vertreten. Lars Hofacker fasste für die Zukunft zusammen: „Klar ist, der E-Commerce wird immer stärker. Dabei wird auch der eine oder andere Händler verschwinden. Omnichannel setzt sich mehr und mehr durch, vor allem auch Click & Collect. Corona war und ist für die einen ein Booster, für die anderen ein Ende mit Schrecken. Wichtig ist, extrem anpassungsfähig zu bleiben – wie eine Krake, und den Kunden mit allen möglichen Touchpoints immer im Auge zu behalten und zu bedienen.“

Initiative ist gefragt: „Händler helfen Händlern“

Ein Erlebnis war auch der nächste Referent: Marcus Diekmann, Geschäftsführer von rose bikes. Er ist der Geschäftsführer eines Fahrradladens mit 107-jähriger Tradition. Allerdings setzt er schon seit Jahren auf einen Omnichannel-Vertrieb mit dem Motto „Online first“. Genau diese Expertise nutzte er im letzten Jahr dafür, die ehrenamtliche und mehrfach preisgekrönte Selbstinitiative „Händler helfen Händlern“ über Nacht ins Leben zu rufen. „Das war mir nur möglich, weil wir digital gut aufgestellt waren und extrem gut vernetzt sind. Von dieser Expertise und Vernetzung konnten andere Händler profitieren“, so Marcus Diekmann.

Seine drei wichtigsten Erfolgsempfehlungen, sozusagen von der E-Commerce-Praxis für die E-Commerce-Praxis:

  1. Maximale Vernetzung: Das einzeln Handeln sollte aufgegeben werden. Der Wissensaustausch ist wichtig, rund um den E-Commerce, Marktplätze, Social Media usw.
  2. Schneller lernen, Möglichkeiten nutzen, um Wissen zu teilen, ganz nach dem Motto: Test, learn, build bigger. Wichtig: Es geht nicht mehr um große Konzepte, sondern ums Entscheiden und machen – wie zum Beispiel einfach nur mit einer WhatsApp-Beratung starten.
  3. Es reicht nicht, einfach im Laden zu verkaufen. Werden Sie zum „Pizza-Liefer-Service“ mit Ihren Produkten, tun Sie sich zusammen, dann sind Sie schneller als amazon; das könnte jeder Händler kopieren.

Diekmann stellte am Ende drei Praxisbeispiele vor, die zeigen, dass Unternehmer, die kreativ, agil und schnell reagieren, auch diese herausfordernde Zeit meistern, unter anderem den Spieleladen Gernemann aus Lette. Er startete eine tolle Weihnachtaktion und schickte seinen Kunden eine Garantie-Mail, dass die gewünschten Geschenke verpackt am 24.12. unter dem Weihnachtsbaum liegen und sicherte sich so, trotz Lock-down sein Weihnachtsgeschafft. „Ich bin mir sicher, wir schaffen das, wenn wir offen für neue Ansätze sind und uns vor allem vernetzen!“, schloss Diekmann seinen Appell ab.

Frisches Brot deutschlandweit täglich auf den Tisch

Im Mittelpunkt der nächsten Präsentation stand ein ganz und gar nicht digitales Lebensmittel, das täglich auf den Tisch kommt: Brot. Jenny Bechly-Günzel und Gerrit Neuhaus vom Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum Cottbus stellten das Praxisprojekt bei der Privatbäckerei Wiese vor.

Zu Anfang des Projekts stellte sich für die 60 Mitarbeiter:innen die Herausforderung, dass es interne Kommunikationsprobleme mit vielen Medienbrüchen gab. Nach ein paar Unternehmensbesuchen, einen Business-Canvas- und einem Lego®-Serious-Workshop wurde als erstes Microsoft Teams eingeführt, um die Kommunikation zu kanalisieren. Außerdem wurde eine Bestell-App entwickelt, gefolgt von einem digitalen Lieferbuch und der Tischreservierung. Insbesondere, um der veränderten Lage zu begegnen, entstand zudem ein Onlineshop mit Website und App-Erweiterungen für die Reklamation & Handelsware. Auch wenn Corona der Impulsgeber für den Onlineshop war, so war es aber tatsächlich auch eine große Chance für ein neues Geschäftsmodell: Backwaren online zu verkaufen. Neben der bundesweiten Belieferung, kann Brot online aber auch bestellt und vor Ort abgeholt werden. Das Problem des zu schnellen Verderbens der Ware löst die Bäckerei, indem sie nur Backwaren ohne Hefe auf Basis von besser haltbarem Sauerteig nur Montag bis Mittwoch per Schnellversand verschickt und besonderes Verpackungsmaterial einsetzt.

Durch den Onlineshop konnten neue Kundengruppen erschlossen werden. Wichtig dabei, trotz Pandemie die Kundenähe, die bei einer Bäckerei wichtig ist, auch online aufrechtzuerhalten. Das wird durch Social Media, einen Blog, und nicht zuletzt durch einen Direkt-Chat gewährleistet. Dieser wird abwechselnd von mehreren Mitarbeiter:innen betreut. Ein regelmäßiger Livestream ersetzt den Blick in die normalerweise gläserne Bäckerei, sodass die Kunden den Bäckern nach wie vor bei der Arbeit über die Schultern schauen können.

Wichtige Learnings aus dem Praxisprojekt:

  • Support ist auch aus der Ferne machbar.
  • Online-Kunden gewinnt man online
  • Mobile first: 75 Prozent schauen von unterwegs virtuell bei der Bäckerei vorbei.
  • Usability der digitalen Anwendungen ist das Wichtigste für die Conversion.

„Wiese hat durch den Onlineshop im Prinzip ein weiteres Ladenlokal gewonnen. Neben Stammkunden aufgrund eines starken Netzwerks werden durch unterschiedliche Online- und Social-Media-Kampagnen immer wieder auch neue Kunden erreicht, was früher nicht denkbar gewesen wäre“, so Jenny Bechly-Günzel. „Die digitale Umstellung hat die Traditionsbäckerei Wiese auch in der Krise handlungsfähig gemacht“, fasst Gerrit Neuhaus zusammen. 

Ein Tag im Leben eines digitalisierten Kunden

Ein Highlight des E-Commerce-Praxistages war die Präsentation von Jörg Heinemann, Principal Innovation & Digitalisation, Otto GmbH & Co.KG, bei der er die Teilnehmenden auf einen Tag mit dem digitalisierten Kunden mitnahm.

Angefangen beim Morgen, an dem der Rasenroboter schon vor dem Aufstehen den Rasen komplett gemäht hat, die Nachrichten automatisch von Alexa zum per Sprache bestellten Frühstücks-Kaffee abgespielt werden. Neben dem Wetter-Update folgt dann ein kurzer Abgleich mit dem Kalender und die automatische Übertragung der Zutaten des Tagesrezepts vom Thermomix in die Einkaufsliste. Ohne jetzt den kompletten Tag zu skizzieren, ist es keine Frage, dass die Digitalisierung Einkaufsverhalten und Kundenerwartungen massiv verändert. Apropos: Beim Einkaufen findet sich die Liste per Smart Watch direkt am Handgelenk, mit der auch direkt bezahlt werden kann. Der Ofen, Licht und Heizung werden schon von unterwegs angeschaltet. Noch gemütlicher wird es, wenn die Dinner-Routine nach einem stressigen Arbeitstag eine romantische Atmosphäre schafft. Und dann nach einem vollen Tag reicht ein Tastendruck oder Sprachbefehl und überall geht das Licht und die Heizung gleichzeitig aus. Wie gesagt, nur ein kleiner Ausschnitt aus einem Tag eines digitalen Kunden…

„Klar ist, dass ganz gleich, ob es sich um den stationären Handel oder um reinen E-Commerce handelt, es muss eine Ausrichtung hin zu noch mehr Digitalisierung stattfinden, denn eins ist sicher: Das Kundenverhalten wird sich definitiv dahingehend ändern“, ist sich Jörg Heinemann sicher.  

Fallstricke beim Aufbau eines Onlineshop umgehen

Rund und konkret machten das Programm noch die Vorträge von Johann Faltermeier und Vladislava Dubinina, die die Fallstricke beim Aufbau eines Onlineshops vorstellten. Dazu präsentierten sie unter anderem den Unterschied und Vor- und Nachteile zwischen Onlineshop und Online-Marktplatz. So war zum Beispiel ein Tipp, erst auf einem Marktplatz zu starten, weil es grundsätzlich schneller geht und sich einfacher umsetzen lässt. In der Zwischenzeit könnte der eigene Onlineshop aufgebaut werden. Des Weiteren wurden die einzelnen Schritte bis zum Onlineshop vorgestellt und mit zahlreichen Tipps flankiert. Wichtiger Eckpunkt ist die Strategie, wie Produkte verkauft werden sollen, aber auch das „Warum“ ist dabei wichtig. Letztlich müssen im Vorfeld auch technische Fragen geklärt werden, wie zum Beispiel:

  • Wer programmiert den Shop, haben wir Mitarbeiter:innen, die das können?
  • Welche Anforderungen haben die Kunden an den Onlineshop?
  • Welches Shop-System wird benötigt?
  • Wie kompatibel ist das Shop-System zum CMS der Website, zum Beispiel durch ein Plugin?
  • Wie wird die Conversion des Onlineshops gemessen?

Abgerundet wurde dieser Themen-Slot mit Tipps zur Zuführungsstrategie zur Website über Social Media, SEA und SEO oder per Newsletter. Außerdem wurde für rechtliche Themen, wie die richtige Erstellung von AGBs und die Umsetzung der DSGVO, sensibilisiert.

Matthias Uhlig, Digitalcoach beim Handelsverband NRW Aachen-Düren-Köln, stellte Tipps und Tricks für mehr Umsatz im Online-Marketing vor. Sein vorgeschlagener Ansatz: Multichannel-Marketing. Wichtigste Frage im Vorfeld ist die, auf welchen Plattformen sich die eigene Zielgruppe aufhält. Dies klappe besonders gut mit Personas und entlang der Customer Journey. Zu beachten sei auch ein guter Mix von unbezahlten, bezahlten sowie eigenen und Dritt-Kanälen. Wertvolle Tipps von Matthias Uhlig waren die Nutzung von Google my Business oder den Einsatz von Live-Streaming über Facebook oder Instagram, auch um die Nähe, die derzeit im Handel verloren geht, zu schaffen. Es auch mal mit Messenger-Marketing zu versuchen, über WhatsApp oder Facebook, könnte zum Gamechanger werden.

Apropos Spiel: „So schwierig diese Zeiten sind, gibt es neben Verlierern auch viele Gewinner, insbesondere im E-Commerce. Das hat der E-Commerce-Praxistag, auch anhand der vorgestellten Praxisbeispiele, deutlich gezeigt“, fasst Bettina Bartz zusammen. „Wie so oft, geht es darum, zu machen, die Dinge anzupacken und auf viele Vertriebskanäle zu setzen. Dann können auch zukünftige Herausforderungen gemeistert werden“.

Autorin: Jana Behr

Copyright: Nuchylee/Canva

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